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Rehazentrum Zentralschweiz

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«Ohne Rehabilitation wäre die Zahl von Patienten mit Langzeitschäden auf jeden Fall höher»

Kompetenz

«Ohne Rehabilitation wäre die Zahl von Patienten mit Langzeitschäden auf jeden Fall höher»

Im Jahr 2020 behandelte die Klinik Adelheid 62 Patientinnen und Patienten nach einer Corona-Infektion. Für sie mitverantwortlich war Dr. med. Patrick Konietzny, Chefarzt für internistisch-onkologische Krankheiten. In unserem Interview erklärt er, wie wichtig die Reha in der Pandemiebekämpfung geworden ist.

Herr Dr. Konietzny, in der internistisch-onkologischen Rehabilitation ist die Klinik Adelheid spezialisiert auf die Behandlung von Patienten mit Erkrankungen der inneren Organe. Was unterscheidet die Behandlung von Corona-Patienten von anderen Lungenerkrankten, die an COPD oder Asthma bronchiale leiden?

Einer der typischen Schwerpunkte der COVID-19-Erkrankung ist zwar die Lungenbeteiligung, jedoch trifft die Erkrankung – je nach Schwere – auch verschiedene andere Organsysteme. Dieses sehr komplexe Krankheitsbild ist einer der wesentlichen Unterschiede zu den gewöhnlichen Lungenerkrankten in der Rehabilitation. Dazu ist mir das Zitat eines Kollegen aus der ersten Pandemie-Welle im Gedächtnis geblieben, der die COVID-19-Erkrankung mit einem Frontalangriff auf den gesamten Körper verglich. Ferner ist die zugrundeliegende Pathophysiologie eine andere als bei einer COPD oder bei Asthma, weshalb sich die medizinischen Behandlungen und die rehabilitativen Massnahmen unterscheiden. Die internistisch-onkologische Rehabilitation in der Klinik Adelheid war schon immer eine breit ausgerichtete Rehabilitation. Insofern sind wir den Umgang mit komplexen Krankheitsbildern aus dem gesamten Spektrum der Inneren Medizin mit Überschneidung zu anderen Fachdisziplinen gewohnt. Diese Erfahrung kommt uns bei der Behandlung von COVID-19-Patienten sehr entgegen.

Welche Rolle spielt die Reha bei der Nachbehandlung von Corona-Patienten ganz allgemein?

Viele der COVID-19-Patienten sind in verschiedenen Körperfunktionen so stark beeinträchtigt, dass eine Entlassung nach Hause direkt aus dem Akutspital oft nicht möglich ist, insbesondere bei Patienten mit intensivmedizinischer Behandlung. Diese Patienten sind auf intensive rehabilitative Massnahmen angewiesen, um wieder eine ausreichende Mobilität, Belastbarkeit und Selbständigkeit zu erreichen. Die Schwere und Komplexität der COVID-19-Erkrankung erfordert häufig auch eine längere Behandlung im Vergleich zu anderen Erkrankungen, da sich viele der betroffenen Patienten nur sehr langsam erholen. Insofern spielt die Rehabilitation in der Nachbehandlung dieser Patienten eine entscheidende Rolle. Wir wissen im Moment noch zu wenig darüber, wie viele und welche Patienten langfristig wieder vollständig und ohne physisch-psychische Einschränkungen gesund werden. Ohne Rehabilitation wäre der Anteil von Patienten mit Langzeitschäden auf jeden Fall höher.

Welche Fachgebiete ausser der internistisch-onkologischen Abteilung der Klinik Adelheid waren besonders gefordert?

Die schwer erkrankten Corona-Patienten liegen oft sehr lange auf den Intensivstationen und werden beatmet. Dadurch wird häufig das Nervensystem in Mitleidenschaft gezogen, was sich in einer schweren muskulären Schwäche äussern kann. Patienten können zum Beispiel nicht mehr selbständig aufstehen, laufen oder schlucken. Daneben bestehen häufig kognitive Defizite sowie eine anhaltende Müdigkeit. Dies erfordert dann eine neurologisch ausgerichtete Rehabilitation. In der Klinik Adelheid werden die Patienten meistens schon bei der Anmeldung – je nach Schwerpunkt ihrer Erkrankung – den richtigen internen Disziplinen zugeordnet. So arbeitete bei COVID-19- Patienten die internistisch-onkologische Rehabilitation sehr eng mit der neurologischen Rehabilitation zusammen.

 

Welche Massnahmen waren relevant?

Bei schwer erkrankten COVID-19-Patienten mit Lungenbeteiligung und neurologischen Schäden ist meist ein breites interdisziplinäres Setting notwendig. So braucht es neben der fachärztlichen, pflegerischen und physiotherapeutischen Behandlung zusätzlich Ergotherapie, Ernährungstherapie, Logopädie und oft auch eine psychologische Begleitung. Ergänzt wird das Programm durch komplementärmedizinische Angebote. Auffallend war, dass Corona auch bei Angehörigen viel Unsicherheit und Ängste ausgelöst hat, was zu spürbar mehr Angehörigengesprächen führte.

Welche Herausforderungen musste das Team bewältigen?

Die erste Herausforderung im letzten Jahr war es, mit der Ungewissheit klarzukommen. Man kannte zu Beginn weder das Virus, noch die Erkrankung. Man hörte zwar von den Kranken in den Akutspitälern, wusste aber noch nicht, was genau auf die Rehabilitation zukommen würde. Für die neuen Krankheitsbilder gab es zu Beginn auch noch keine verbindlichen Behandlungsempfehlungen, insbesondere nicht für die Rehabilitation. Es war also ein grosser Aufwand in der Informationsbeschaffung nötig. Auch heute ist es noch so, dass sich Behandlungsempfehlungen je nach Studienlage ändern und die Massnahmen laufend angepasst werden müssen. Von Vorteil war, dass wir sehr enge Beziehungen zu unseren Zuweisern pflegen und so ein unkomplizierter und schneller Austausch mit den Akutkliniken möglich war.

Die nächste Herausforderung bestand in der Anpassung an den Behandlungsaufwand. Wir realisierten schnell, dass die Behandlung von COVID-19-Patienten komplexer und eine gute Ressourceneinteilung entscheidend ist. Natürlich bestand immer auch eine gewisse Sorge, dass es zu Personalengpässen aufgrund von Ansteckungen kommen könnte. Unser Team der Infektionsprävention hat diesbezüglich zusammen mit dem Zuger Kantonsspital eine hervorragende Arbeit geleistet. Dank eines angepassten Hygieneschutzkonzeptes hatten wir erfreulicherweise kaum Erkrankte beim Personal, wodurch die Behandlung der Patienten jederzeit gewährleistet war.

In der Klinik Adelheid wird die interdisziplinäre Zusammenarbeit gelebt. Wie hat sich dies in der Situation mit Corona-Patientinnen und -Patienten gezeigt?

In der Corona-Situation mussten wir noch flexibler als sonst agieren. Die Anforderungen, die sich im Bereich der Kommunikation, der Materialbeschaffung, der Bettenplanung und der Hygiene ergaben, erforderten die schnelle und unkomplizierte Zusammenarbeit verschiedener fachübergreifender Bereiche, häufig sogar mehrmals am Tag. Im medizinischen-therapeutischen Bereich hat sich die interdisziplinäre Zusammenarbeit aufgrund der erwähnten komplexen Krankheitsbilder intensiviert. So rückten die neurologische und die internistische Rehabilitation näher zusammen. Neue Krankheitsbilder führen täglich zu neuen Erfahrungen und Erkenntnissen, die regelmässig vermittelt werden müssen. Auch hier wurde der Austausch zwischen den Disziplinen vertieft.

Viele Patientinnen und Patienten leiden an einem Long-Covid-Syndrom und kämpfen mit Atemproblemen, Muskelschwächen und Erschöpfung. Wie unterstützen Sie diese Patientinnen und Patienten nach dem Aufenthalt in der Klinik Adelheid?

Da noch wenige Daten in der Langzeitbeobachtung vorliegen, fällt es schwer, den Patienten seriöse Prognosen für den weiteren Verlauf zu machen. Umso wichtiger ist es, dass Patienten und auch Angehörige einen Fahrplan bekommen, an den sie sich halten können, und der ihnen Sicherheit vermittelt. Nach Erreichen der zu Beginn der Rehabilitation formulierten Zielsetzung und nach der Entlassung des Patienten beginnt die ambulante Behandlung, die von uns bereits aufgegleist wird. Wichtig ist, dass der Patient weiss, in welchen Bereichen noch Defizite bestehen und wie die weitere ambulante Behandlung aussieht. Daneben müssen viele Patienten auch nach der Rehabilitation fachärztlich weiterbetreut werden, zum Beispiel von Lungenfachärzten, was von uns in der Regel bereits vor dem Austritt organisiert wird. Häufig sind auch Angehörigengespräche notwendig, da nach wochen- bis monatelangen stationären Klinikaufenthalten noch viele Fragen ungeklärt sind. Je besser das Umfeld über die Erkrankung informiert ist, desto besser kann auch mit den Long-Covid-Symptomen umgegangen werden.

Worauf musste bei Anschlusslösungen von Corona-Patientinnen und -Patienten besonders geachtet werden?

Leider erreichen nicht alle Corona-Patientinnen und -Patienten die Ziele, welche eine Entlassung nach Hause ermöglichen. Hier müssen sogenannte Anschlusslösungen organisiert werden. Dies sind meist Plätze in Pflegeheimen, wobei diese häufig nur temporär benötigt werden. Die Patienten gehen also nur zur Überbrückung in das Pflegeheim, bis sie belastbar und selbständig genug für einen Austritt nach Hause sind. Bei Anschlusslösungen für Corona-Patienten ist darauf zu achten, dass die häufig notwendigen ambulanten Behandlungen auch in den Institutionen fortgeführt werden können. Das ist aufgrund der verschärften Corona-Bestimmungen in den Pflegeheimen im Einzelfall zu prüfen und schliesst auch Hilfsmittelbeschaffungen mit ein.